Körperliche und geistige Herausforderungen
In meinem ganzen Leben hatte ich das bisher große Glück, von schweren Verletzungen oder Operationen verschont geblieben zu sein.
In meiner Jugend im Basketball habe ich mir die beiden Knöchel und die Knie häufiger lädiert, mein Blinddarm wollte kein Teil meines Körpers mehr sein und auch die Weisheitszähne sind nicht so gewachsen, als dass ich sie guten Gewissens in meinem Gebiss hätte behalten können.
Ich habe keine mir bekannten Allergien oder sonstigen Beschwerden. Große Probleme, körperlich oder seelisch, hatte ich zum Glück nie durchleben müssen.
Dennoch konnte ich jahrelang die Uhr danach stellen, wann ich krank wurde.
Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, Ohrensausen, es war, als ob mein Körper dauerhaft entzündet war, manchmal mehr, manchmal weniger. Mehrmals im Jahr stand ich vor der Frage:
Gehe ich nun zum Arzt oder kann ich die Symptome mit den gängigen Medikamenten und Haushaltsmitteln bekämpfen?
Dementsprechend entwickelte sich auch meine Laune, meine Motivation und meine mentale wie körperliche Stärke: Sehr schleppend und chaotisch.
Jeder kennt den Spruch „Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“, doch beides hatte ich nicht wirklich vorzuweisen.
In den vorherigen Einträgen reden wir über unsere Motivation und den Beginn unserer Reise, heute will ich etwas darüber schreiben, welche Herausforderungen und Probleme, aber auch welche Erkenntnisse ich für mich in den letzten 1 ½ Jahren herausfiltern und nutzen konnte.
„Ich kann das nicht!“, „Ich bin so“, „Das war schon immer so“ und „Wieso ausgerechnet ich?!“
Wir alle kennen Menschen, die diese Fragen stellen, vielleicht stellt sie sich insgeheim jeder auch selbst. Ich für meinen Teil war ein sehr großer Verfechter dessen, wer oder was ich war/bin und wieso ich mich entsprechend verhielt.
Wieso ich nicht beruflich vorangekommen war, wieso ich zwischenmenschlich und in Beziehungen Streitereien und im Nachhinein unnötige Diskussionen eingegangen war und dennoch der festen Überzeugung gewesen war „Aber so BIN ICH“.
Erst mit dem Beginn meines sportlichen Auslebens entdeckte ich die selbstaufgelegten Grenzen meines Seins, meine Inkompetenz mir gegenüber und meine verschobenen Sichtweisen auf andere und vor allem auf mich.
Ich bin kein schlechter Mensch gewesen, nur ein in sich selbst nicht gefestigter, strukturierter oder gar reflektierter Mensch. Ich dachte zu wissen, wer ich war und was ich bin.
Ein großer Fehler, wie sich jetzt herausstellt.
„Ich kann das nicht“ wird jetzt zu einem „Ich kann das jetzt nicht, werde es aber können“, aus einem „Ich bin so“ wird ein „Ich bin so, aber ich arbeite daran, den Ist- Zustand zu verbessern“ und aus „Wieso ausgerechnet ich?!“ mache ich ein „Zum Glück passiert mir das, ich will diese Herausforderung meistern!“.
Der Kampf mit sich selbst
Das Leben ist ein täglicher Kampf ums Überleben, Verbessern und Vergleichen.
Vor allem in der heutigen Zeit unter Covid-19 und der rapiden Veränderung unseres sozialen wie ökologischen Klimas schauen wir neidvoll auf andere Menschen und vergleichen uns ständig.
Wieso vergleichen wir uns überhaupt mit jemand anderem?
Wieso vergleichen wir uns nicht ausschließlich mit uns selbst?
Ist es nicht viel wichtiger zu verstehen, wer wir gestern waren, um heute zu realisieren, wer wir morgen sein wollen? Ich mache heute das, was andere nicht machen, um an dem Punkt zu sein, wo andere Menschen nicht sein werden, weil sie heute nicht das getan haben, auf dem sie morgen aufbauen können? „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ sollte viel mehr die Devise aller Menschen sein. Wenn jeder Mensch damit beschäftigt wäre, sich selbst besser kennen zu lernen und sich zu verändern, sein Maximum aus sich und seinen Möglichkeiten zu machen und den Tag „perfekt“ zu nutzen, hätten wir überhaupt keine Zeit, um uns mit anderen zu vergleichen!
Mittlerweile versuche ich, mich sowohl menschlich, beruflich als auch sportlich nicht zu vergleichen.
Damit meine ich nicht, dass ich mir nicht anschaue und verstehen will, was andere Menschen machen, aber es gibt nun mal nur eine Version meiner selbst. Meine Vergangenheit, meine Erlebnisse, meine Sorgen und Probleme sind nicht einmalig oder besonders, aber in der Summe gibt es keine zweite Person auf der Erde, die meinen „Struggle“ so durchlebt wie ich.
Wieso mich dann mit anderen Menschen vergleichen? Ich kenne die Sorgen und Probleme der anderen nicht, weiß nicht, woher sie kommen, was sie erlebt haben und wohin sie überhaupt wollen.
Ich kenne die Ziele und Wünsche der Menschen, weiß nicht was sie wissen und wohin sie ihre persönliche Reise führen soll.
Daher versuche ich, mich immer mehr von dem Gedanken zu lösen, mich zu vergleichen.
Der Sport hilft mir dabei unglaublich sehr.
Er hat mir gezeigt, wo meine Grenzen sind, dass diese Grenzen nur temporär ein Problem darstellen und ich durch konstanten, positiven Stress diese Grenzen verschieben kann.
Grenzen – Konstrukte deiner Selbst
„Ich kann keinen Klimmzug, keine zehn Liegestützen am Stück, werde wohl nie über 100 kg Kreuzheben und doppelte Seilsprünge machen doch eh nur verrückte, was soll mir das bringen?!“
Ich kann mich noch viel zu genau an dieses Gespräch mit Ralf erinnern.
Wir saßen in unserer Küche und philosophierten über unsere Ziele, unsere Grenzen und Herausforderungen.
Beide erkannten wir, was wir nicht konnten, was schier unmöglich schien.
Uns fehlte die Vision, die Geduld, selbst der innere Schweinehund arbeitete gegen uns.
Das war vor 1 ½ Jahren. Februar/März 2019.
Heute sind wir beide zwar nicht unbedingt schlauer, dafür haben wir aber mehrere hundert Stunden Training hinter uns, wissen mehr über uns und unseren Körper und haben vieles über uns verstanden. Und je mehr wir machen, desto weniger haben wir den Eindruck zu verstehen, WAS wir überhaupt da machen.
Wir wissen, dass nur durch ständiges Wiederholen eine Übung ansatzweise gemeistert werden kann.
Technik ist extrem wichtig, nicht nur um den Muskel komplett zu bearbeiten, sondern auch um Verletzungen und Problemen aus dem Weg zu gehen.
Durch das konstante Arbeiten an den Bewegungen und der Technik entsteht ein Fortschritt, zumindest ist das bis zum heutigen Tag bei uns so.
Wir beide haben unseren „Käfig“ im Kopf, in dem wir gefangen sind, der uns unsere Grenzen aufzeigt und uns hemmt. Ähnlich wie in Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Panther“ wandern wir ruhelos in diesem Käfig umher.
Mittlerweile wissen wir aber auch, dass die Tür des Käfigs offen ist und wir immer wieder raus können.
Wie?
Indem wir uns andauernd einem gewissen Stress aussetzen.
„Ich hasse Burpees“ – also machen wir Burpees.
„Ich will heute nicht laufen“ – wir gehen laufen.
„Uff, mir ist das Gewicht nach dem ersten Satz zu schwer“ – wir bleiben bei dem Gewicht, immerhin hat es im ersten Satz doch auch funktioniert!
Damit meine ich nicht, dass wir uns konstant überfordern, aber nach all dem gemeinsamen Training wissen wir genau, was uns der Kopf als Grenze vorsetzt und wie wir über diese Grenze kommen.
Ich mochte doppelte Seilsprünge (DoubleUnders) überhaupt nicht. Ich konnte sie nicht.
Ich verstand den motorischen Bewegungsablauf nicht, bekam sofort Schnappatmung und es klappte nicht, egal wie ich‘s tat.
Gab ich auf? Nein. Ich versuchte zu verstehen, was ich falsch machte, wie ich mich verbessern konnte. Über einfache Seilsprünge, Boxjumps und Arm/Brusttraining erarbeitete ich mir immer mehr ein Fundament, mit dem ich arbeiten konnte.
Waren es vor 2 Monaten noch 26 DU als „personal record“, sind es momentan 76 am Stück.
Meine Grenze hat sich verschoben.
Durch diesen positiven Stress lerne ich täglich, wie ich mit Dingen umgehen kann, die ich nicht kann oder nicht beherrsche.
„Only what challenges you, changes you“, nur wenn der Körper und Geist arbeitet, kann sich etwas verändern.
Stress im Menschen erweckt die Urinstinkte und wir reagieren impulsiv. Mittlerweile versuche ich immer mehr, mich genau vor solchen Stresssituationen zu schützen, indem ich mich andauernd stresse. Wir trainieren jede Woche etwas anderes, manchmal planen wir es Tage im Voraus, manchmal passiert es spontan.
Alltag ist Normalität, Normalität bedeutet Stillstand und Stillstand ist immer ein Rückschritt.
Embrace the Fuck
Da wo es weh tut, bin ich richtig.
Mein Körper und Geist, mein Ego und alles in mir sagen nein.
Das ist der wichtigste Moment. Jedes Mal, jeden Tag, zu jeder Zeit.
Dieses Streitgespräch mit mir selbst, weiter zu machen, weiter zu gehen und meine Grenze zu verschieben, den Käfig zu durchbrechen und es mir selbst zu beweisen.
Weiter zu gehen als gestern. Einen Schritt, eine Wiederholung, eine Aufgabe mehr bewältigt zu haben, um morgen wieder einen Schritt weiter zu gehen.
Wachstum kann und muss nicht konstant sein. Nicht immer klappt alles. Oft ärgere ich mich über mich selbst, weil ich eine Zeit nicht unterboten habe, etwas wieder falsch gemacht habe oder eine Aufgabe nicht zu meiner Zufriedenheit erledigt habe.
Oft versage ich auch in dem, was ich mache, was ich mir vornehme.
Und jedes dieser Versagen ist Gold wert.
Das sind die Momente, nach denen ich suche.
Ich bringe mich und meine Grenzen an den Punkt, dass ich versage, um zu verstehen, was ich besser machen kann, wie ich besser werde und was ich erreichen kann, wenn mein Körper und mein Geist Miteinander und füreinander kämpfen. Und wenn ich wieder eine Grenze verschoben habe, mental wie körperlich, arbeite ich an neuen Grenzen weiter.
Ich feiere den Erfolg einer Übung bei weitem nicht so sehr wie das Versagen ebenjener.
Im täglichen Streitgespräch mit mir selbst stresse ich mich und meinen Körper, meinen Geist und mein Dasein, um zu versagen. Nur dadurch kann ich wachsen. Im Übrigen war ich in dieser gesamten Zeit der letzten 1 ½ Jahre an genau drei Tagen krank. Der Sport hat mich gelehrt, auch im Alltag dem Stress nicht aus dem Weg zu gehen, sondern ihn direkt zu bearbeiten. Ich schiebe Dinge nicht mehr auf, drücke mich nicht mehr vor Verantwortungen und versuche jeden Tag, an mir und meinem Leben zu arbeiten. Ich versuche David Goggins Philosophie des „Taking souls“ zu nutzen. Ich mache Dinge, die andere nicht von mir erwarten oder für möglich halten. Ich erfreue mich am eigenen Scheitern, aber auch am eigenen „über die Grenze“ Gehen und Fehlermachen.
Aus Fehlern lernt man/frau.
Embrace the fuck.

